Josef Bierer war bereits als 17-Jähriger 1887 einer der Mitbegründer der Czernowitzer „Jüdischen Lesehalle“ und zählte 1891 zu den Begründern der ersten jüdischen Studentenverbindung „Hasmonaea“ in Czernowitz. Ab 1903 war er als Mitglied des Bukowinaer Distriktskomitees einer der führenden Zionisten in der Region. Im 1905 gegründeten hebräischen Landesschulverein „Safah Ivriah“ übernahm er noch vor 1914 den Vorsitz. Bierer eignete sich offenbar schon sehr früh umfassende Hebräischkenntnisse an. Er verbrachte in seiner Jugend einige Jahre in Wien, wo er in der „Kadimah“ die vier hebräischen Zeitungen, die die akademische Verbindung abonnierte, für die Mitglieder ins Deutsche übersetzte.

Nachdem er im Jahr 1900 in das 60km südlich von Czernowitz gelegene Radautz umzogen war, um als Mediziner zu arbeiten, wurde er dort im Gemeinderat aktiv, gründete den Verein „Dorschei Zion“ und erfüllte die zionistische Bewegung an diesem Ort mit Leben. Seine Söhne Joschua und Immanuel Bierer förderten in Radautz nach dem Ersten Weltkrieg die zionistische Jugendbewegung und gründeten den Verein „Schomer“. 

Auch in der Zwischenkriegszeit war Bierer bestrebt, sich für jüdischen Interessen – insbesondere die Einführung der hebräischen Sprache in den Schulen – einzusetzen. Am 28. August 1922 überreichte eine Abordnung der deutschen, ukrainischen und der nur aus Mitgliedern des zionistischen Lagers (Mayer Ebner, Salomon Kassner und Josef Bierer) vertretenen jüdischen Minderheit dem rumänischen Ministerpräsidenten Ion I. C. Brătianu schriftlich ihre schulpolitischen Forderungen. Die „Czernowitzer Allgemeine Zeitung“ berichtet über ein Gespräch zwischen Brătianu und Bierer am Rande des Treffens. Brătianu fragte Bierer, ob er Hebräisch oder Jiddisch als Volkssprache der Juden betrachte. Bierer erwiderte, dass sich bei den Einschreibungen der Schuler in die Volksschulen „eine große Mehrheit der jüdischen Eltern für Hebräisch ausgesprochen [hat] und nur ein geringer Teil für Jüdisch“ und „[d]ie Juden wünschten, dass ihre alte hebräische Kultur nicht ausgemerzt werde“ (Czernowitzer Allgemeine Zeitung, Nr. 1478, 30. August 1922, S. 1f.).

Bierer starb am 29. November 1937 in Wien. Laut der Todesanzeige seiner Familie war Bierer Ehrenpräsident der Weltvereinigung jüdischer Ärzte, Begründer des Hebräischen Schulwerkes in der Bukowina, Ehrenmitglied der jüdisch-akademischen Verbindung Kadimah (Wien), Gründer der jüdisch-akademischen Lese- und Redehalle (Wien) und der jüdisch-akademischen Verbindung Hasmonäa (Cernăuți), Ritter des Franz-Josef-Ordens mit den Schwertern, des Eisernen Kreuzes u.a. (Die Stimme, 1. Dezember 1937, S. 2).

Text: Markus Winkler

Quellen:

  • Markus Winkler: Jüdische Identitäten im kommunikativen Raum: Presse, Sprache und Theater in Czernowitz bis 1923. Bremen 2007
  • Isidor Schalit: Kadimah: Aus meinen Erinnerungen. In: Ludwig Rosenhek (Hg.): Festschrift zur Feier des 100. Semesters der akademischen Verbindung Kadimah. Modling 1933