Die ukrainische Nationalbewegung ging in Czernowitz - neben der Rus’ka besida - ganz wesentlich vom ukrainischen Volkshaus aus. Der erste Leiter des Hauses war Erotej Pihuljak, als Sekretär fungierte Omeljan Popovyč. Beide waren aktiv am Aufbau des Schulwesens beteiligt und setzten sich besonders für eine ukrainische Bildung ein. Vor allem die Bauernschaft sollte an die ukrainische Kultur herangeführt werden, so dass vermehrt Zugang zu Bildung, zur ukrainischen Sprache und Geschichte geschaffen wurde. Seit 1896 war für diese Zwecke ein Schülerheim für Oberschüler, die aus den umliegenden Regionen nach Czernowitz kamen, im Volkshaus untergebracht. Da die Anzahl der Schüler jedoch rasch über Hundert stieg, bezog das Schülerheim 1906 ein eigenes Gebäude.

Im Volkshaus wurden des Weiteren eine ukrainische Volksbibliothek eingerichtet sowie die für die Nationalbewegung bedeutende Zeitung Bukovyna gedruckt. Parallel dazu entstanden vermehrt Zusammenschlüsse nach dem Prinzip der Raiffeisenkassen sowie Turnvereine (Selbstwehrverbände). 1905 beherbergte das Haus bereits über 60 Gruppen und Vereine. Wie Mariana Hausleitner betont, wurden durch die Einrichtung die Voraussetzungen geschaffen, dass sich die Ukrainerinnen und Ukrainer ab der Jahrhundertwende aktiv am kulturellen und politischen Leben in Czernowitz beteiligen konnten. Ein Zweck der Volkshäuser in der Stadt lag besonders in der Begegnung und Vernetzung der jeweils durch ihre Sprachen definierten Gruppen. Die Häuser wurden so zu einem realen und symbolischen Treffpunkt der nationalen Gruppierungen der Bukowina. Die ukrainische Nationalbewegung wurde ab Ende des 19. Jahrhunderts entscheidend durch das Haus geprägt. Wichtiger Wendepunkt für das Selbstverständnis der ukrainischen Bevölkerung stellt in diesem Zusammenhang auch die Umbenennung von „ruthenisch“ (Rus’kij narodnyi dim) in „ukrainisch“ (Ukrajns‘kyi narodnyi dim) im Jahr 1910 dar.

Unmittelbar nach der Machtübernahme der Bukowina durch die Rumänen 1918/19 wurden die Volks- bzw. Nationalhäuser in Czernowitz geschlossen bzw. zum Teil in ihrer Arbeit eingeschränkt. Die rumänische Armee besetzte das ukrainische Haus und nutzte die Druckerei zu Propagandazwecken. Viele der langjährigen Aktivisten der Ukrainer wurden festgenommen oder mussten, wie Omeljan Popovyč, ins Ausland fliehen. Erst in den 1920er-Jahren konnten die Nationalhäuser ihre Tätigkeiten wieder aufnehmen und waren in Zeiten einer zunehmenden Rumänisierung des Alltagslebens wichtige kulturelle Zentren der Minderheiten. Während der sowjetischen Zeit (1944-1991) wurden die Aktivitäten der Nationalhäuser eingestellt. Erst in den 1990er-Jahren konnte sich die Häuser wieder neu organisieren.

Gegenwärtig (2018) ist Volodymyr Staryk Leiter des ukrainischen Nationalhauses. Er setzte sich seit der Perestrojka aktiv für den Wiederaufbau der Volkshäuser in Czernowitz ein und geht seiner leitenden Funktion im ukrainischen Haus ehrenamtlich nach (siehe Zeitzeugen-Gespräch mit Volodymyr Staryk). Im Untergeschoss des Hauses befinden sich heute Büros, Räume für Vereine sowie ein großer Sitzungssaal. Im hinteren Teil des Hauses ist zudem eine kleine Ausstellung untergebracht, die die Geschichte der ukrainischen Nationalbewegung dokumentiert. Der große Festsaal im Obergeschoss des Hauses, an den weitere Büros angrenzen, wird von verschiedenen Gruppen, Initiativen und Vereinen in Czernowitz genutzt. Auch wenn der Schwerpunkt auf ukrainischen Aktivitäten liegt, ist der Raum auch offen für die Durchführung anderer Veranstaltungen.

Text: Kirsten Heyerhoff

Verwendete Quelle: Mariana Hausleitner: Fünf verschiedene Vereinshäuser in Czernowitz und ihre Entwicklung in bis 1914. In: Peter Haslinger, Heidi Hein-Kircher, Rudolf Jaworski: Heimstätten der Nation. Ostmitteleuropäische Vereins- und Gesellschaftshäuser im transnationalen Vergleich (Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung, 32). Marburg 2013, S. 89-112

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    Ukrainisches Volkshaus (früher Ecke Schlangengasse / Petrowiczgasse)

    Ukrainisches Volkshaus (früher Ecke Schlangengasse / Petrowiczgasse)
    heute: wul. Jakoba von Petrovyča 2. Foto: Markus Winkler (2016)