Volodymyr Staryk empfängt uns im Vorraum seines Büros im Nationalhaus. Das Haus ist groß, es erstreckt sich über zwei Stockwerke mit zum Teil kleinen Büros, aber auch einem großen Sitzungssaal. Noch von dem Bürovorraum des Leiters abgehend, verschlossen, wie ein eigenes kleines Museum, kommt eine Ausstellung zum Vorschein, die dem Interessensgebiet des Leiters entspricht. Das Gespräch wird ein sprachliches Potpourri, eine Mischung aus Ukrainisch, Englisch und Deutsch. Ist unser Gesprächspartner mitten in seinen Erzählungen und möchte uns, so scheint es, seinen Standpunkt klar zu verstehen geben, wird ihm das Übersetzen des Ukrainischen manchmal zu langsam – dann schwenkt er ins Englische um, mit deutschen Einsprengseln, bevor er doch wieder, seinem schnellen Sprachtempo vielleicht angemessener, ins Ukrainische wechselt.
Das ukrainische Haus erhalte fast keine Finanzierung von staatlicher Seite, klagt Staryk – anders als die anderen Nationalhäuser in der Stadt. Die Nebenkosten, besonders die Heizung, kosten viel Geld. Bezahlen können sie diese durch Einnahmen von den Organisationen, die sich in die Räume des Hauses einmieten. Auch für eigene Projekte erhalten sie finanzielle Mittel. Öffentliche Projekte des ukrainischen Hauses – damit sind ein Kinderparlament gemeint oder auch ein Projekt zur Beobachtung und Kontrolle der Wahlen. Es geht politisch zu im Haus und kulturell, das Ukrainische wird versucht zu erhalten, auch wenn nicht auf die Nationalitäten der Engagierten geschaut werde, wie Staryk betont. Obwohl in der Satzung stehe, dass alle Veranstaltungen in ukrainischer Sprache abgehalten werden müssten, sei es klar, dass die Ostukrainerinnen und -ukrainer auch hier Russisch sprechen würden. 15 Organisationen sind derzeitig aktiv, die die Infrastruktur des Hauses nutzen. Was uns dabei natürlich aktuell besonders interessiert: Hat sich nach dem Maidan etwas an der Rolle des Nationalhauses oder das Publikum geändert? Nein, heute wie bei der Gründung 1884 habe das Haus dieselben Aufgaben, so der Leiter. Er hoffe jedoch darauf, dass die lokale Politik sie jetzt mehr unterstütze, aber: „What we do before maidan we do after maidan.“
Das Ukrainische und der Erhalt des Ukrainischen ist ein Element, das sich durch die verschiedenen Zeiten zieht: Während der Habsburgermonarchie, so Staryk, kam dem Nationalhaus eine besondere Bedeutung zu. Es habe keine ukrainische Schule gegeben, so dass das ukrainische Haus zum Treffpunkt wurde, die Sprache zu lehren und die ukrainische Kultur wie die Musik zu bewahren und weiterzugeben. Während der Zeit der rumänischen Herrschaft, so erzählt er weiter, war es verboten, die ukrainische Sprache zu lernen. Im Nationalhaus fanden Kurse für Analphabetinnen und Analphabeten statt, Schreiben und Lesen wurde privat gelehrt und gelernt – auch wenn sie von den rumänischen Machthabenden verfolgt wurden. Und heute? „Wir sind eine nationale Minderheit in Czernowitz“, sagt Staryk. Ja, das Haus sei, so stimmt er unserer Frage zu, ein Volkshaus für die Bevölkerung der Stadt Czernowitz – aber die ukrainische Identität müsste auf jeden Fall gewahrt werden. Staryk hat ein Buch geschrieben, mehr ein Prospekt, das die Geschichte der einzelnen Gruppen und ihrer Nationalhäuser erzählt. Das Buch sollte alle miteinander verbinden, so spricht er über seine Idealvorstellung, aber alle würden nur ihren eigenen Part lesen. Die Nationalitäten leben zusammen, aber dann doch getrennt voneinander. Eine Zusammenarbeit der Nationalhäuser beispielsweise gebe es nur zeremoniell. Das Buch steht auch für seinen Änderungswillen, für das Bedürfnis, sich mit den verschiedenen Nationalitäten zu beschäftigen. Gleichzeitig gebe es für ihn zu viel „Verehrung in den Westen“, zu viele Gedenktafeln, die nicht-ukrainischen Persönlichkeiten gewidmet seien und zu wenige für ukrainische Persönlichkeiten.
Volodymyr Staryk ist ein Mann mit Überzeugungen, dies wird im Gespräch deutlich. Ja, er setzt sich ein für ein Miteinander der nationalen Gruppen – hauptsächlich geht es ihm jedoch um die Stärkung des Ukrainischen, das er persönlich für unterrepräsentiert in der Stadt hält – sei es im Rathaus oder im Stadtbild. Für uns ist das Ukrainische auf unseren Streifzügen in Czernowitz sehr präsent: Wir sehen das Blau-Gelbe in den Fahnen, an den bemalten Häuserfronten oder in lackierten Autos. Wir sehen Taras Ševčenko als Vertreter einer ukrainischen Erinnerungskultur auf den zentralen Plätzen der Städte und Dörfer. Aber wir sind auch nur zu Besuch in dieser Stadt. Volodymyr Staryk wirkt wie ein Mann, der sich die letzten drei Jahrzehnte für seine Überzeugungen eingesetzt hat. Wie jemand, der jetzt als resigniert bezeichnet werden könnte. Wie stellen Sie sich das perfekte Czernowitz vor?, fragen wir ihn. „Ich bin zu alt zum Träumen.“
Der Mythos Bukowina, durch den auch wir in gewisser Weise in Czernowitz gelandet sind, steht für Staryk auch dafür, das Ukrainische nicht anzuerkennen. Die Menschen identifizierten sich mehr und mehr mit ihren Regionen – sie seien aus Odessa, Donbass oder der Bukowina, nicht aus der Ukraine. Er zeichnet ein Bild einer Stadt, die für uns für kulturelle Vielfalt und Offenheit steht, die auch er herausstellt – deren Betonung für ihn aber wiederum scheinbar das Ukrainische im ukrainischen Gebiet in den Hintergrund rücken lässt. Wir sind uns nach dem Gespräch einig, dass es ein sehr interessantes und intensives war. Dass wir einen Einblick erhalten durften in das zwiespältige Verhältnis eines engagierten Mannes zu seiner Stadt. Und auch, dass sich für uns nach dem Gespräch noch mehr Fragen auftun als vor dem Gespräch. Wir stellen uns jetzt vermehrt die Frage: Was bedeutet es für einen Ort, wenn von außen wie durch Initiativen aus westlichen Ländern Erinnerungskultur ein- oder auch zurückgebracht wird, die für den Ort selbst als bedeutend angesehen werden kann, gleichzeitig aber auch andere überlagert? Czernowitz ist ein Ort voller Erinnerungen – das Gespräch mit Volodymyr Staryk hat uns seine und die Erinnerungen des ukrainischen Nationalhauses etwas nähergebracht. Wir sind ihm dankbar für seine Zeit und das Gespräch.
Das Gespräch mit Volodymyr Staryk wurde am 11. Mai 2017 von Kirsten Heyerhoff und Marit Haferkamp geführt. Iryna Virstiuk übersetzte die ukrainischen Sprachanteile simultan ins Deutsche.
Foto: Kirsten Heyerhoff und Marit Haferkamp
Literatur:
- Mariana Hausleitner: Fünf verschiedene Vereinshäuser in Czernowitz und ihre Entwicklung in bis 1914. In: Peter Halsing, Heidi Hein-Kircher, und Rudolf Jaworski (Hg.): Heimstätten der Nation. Ostmitteleuropäische Vereins- und Gesellschaftshäuser im transnationalen Vergleich. Marburg 2013 (Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung, 32), S. 89-112.