Die Gründungsversammlung, die sich im damaligen Hotel „Zum goldenen Lamm“ traf, zählte ca. 150 Mitglieder, darunter mehrere orthodoxe Geistliche und Vertreter der ruthenischen Intellektuellen, u.a. den Priester Vasyl Prodan und den Schriftsteller und Musiker Sydir Vorobkevych. Prodan wurde zum Vorsitzenden gewählt und stand dem Verein bis 1878 vor. Er gehörte zu der konservativen moskophilen Richtung der nationalen Bewegung, die auf Orthodoxie gründete und das Altkirchenslawische als Bildungssprache propagierte.
Laut dem ersten Statut sollte der Verein Aufklärung betreiben und das gesellschaftliche Leben der Ruthenen unterstützen. 1870 gab „Ruska besida“ die Zeitung „Bukovynsʾka zorja“ (dt. Bukowiner Stern) heraus, die mit sechzehn Ausgaben jedoch kurzlebig war. Dem Verein gehörten nicht nur Moskophile an, sondern auch Anhänger der ukrainophilen volksnahen Bewegung an, die sich für die ukrainische Unabhängigkeit und die Sprache einsetzten. Der Kampf innerhalb des Bukowiner Vereins fiel zugunsten der Ukrainophilen (ukr. Narodovci) aus. 1884 wurden die Moskophile aus dem Verein verdrängt. In diesem Jahr wurde auf Initiative von Stepan Smalʾ-Stocʾkyj auch das Statut geändert: Der Verein erklärte nun Aufklärung und Wohlstand des ruthenischen Volkes als vorrangiges Ziel. 1885 wurde in der Bukowina die erste politische ukrainischsprachige Zeitung „Bukovyna“ gegründet, deren Mitbegründer und Redakteur Juri Fedkovyč war, einer der wichtigsten ukrainischsprachigen Schriftsteller der Bukowina.
Seit den 1880er-Jahren gründete „Rusʾka besida“ Lesesäle in mehreren Dörfern. 1912 besaß der Verein neun Filialen in der Bukowina, ca. 150 Lesesäle und 908 Mitglieder. Zum Verein gehörten zwei Stiftungen, die ärmeren Schülern eine Ausbildung ermöglichten. „Rusʾka besida“ fungierte nicht nur als Zeitungsherausgeber, der Verein publizierte eine monatliche Broschüre „Bibliothek für Jugend, Bauern und Bürger“, den jährlichen Bukowiner Orthodoxen Kalender, Monatszeitschriften Lastivka (dt. Schwalbe) und Čytalʾnja (dt. Lesesaal) sowie diverse Bücher.
Aus dem Verein „Rusʾka besida“ sind mehrere politische, literarische und kulturelle Organisationen in der Bukowina hervorgegangen. 1870 wurde von den Mitgliedern der „Rusʾka besida“ der Verein „Ruska Rada“ (dt. Ruthenischer Rat) gegründet, der sich um die Etablierung des Lehrstuhls für die ruthenische Sprache 1875 an der Czernowitzer Universität bemühte. Zu den anderen Organisationen gehörten u.a. Miščansʾka čytalʾnja (Bürger-Lesesaal, 1880), das Ukrainische Haus (1884), die Ukrainische Schule (1887) und die Frauengemeinde der Bukowina (1906).
Nach der Annexion der Bukowina durch Rumänien wurden die Lesesäle im ehemaligen Kronland verboten. Der Verein konnte seine Tätigkeit in der Stadt nur eingeschränkt fortsetzen. Mit der sowjetischen Okkupation 1940 wurde der Verein verboten.
Text: Kateryna Stetsevych
Quellen:
- Evhenij Dmytriv: Iljustrovana istorija Prosvitnjoho tovarystva Rusʾka besida, Černovci 1909 [Zur Geschichte des Vereins]