Der Patriotismus sei von der Schule gelenkt worden, die die Schüler „auf höchste patriotische Touren gesetzt“ hatte, wie Friedjung bereits 1970/71 in einem anderen Text festhält (Friedjung: Einige Angaben und Erinnerungen, S. 258). Friedjung besaß nur einen begrenzten Patriotismus, was mit ihrer familiären Situation zusammenhing. Ihre drei Brüder dienten als Soldaten für unterschiedliche und im Ersten Weltkrieg verfeindete Armeen. Zwei Brüder gehörten den Truppen der k. k.-Monarchie an, der älteste jedoch stand im Dienste der US-Armee, da er bereits einige Jahre zuvor ausgewandert war.
Nach dem Krieg kehrte die Familie in die Bukowina zurück, die nun Teil Rumäniens geworden war. In Czernowitz absolvierte sie 1920 die Schule, lernte anschließend Stenographie und Maschineschreiben und arbeitete für einen Rechtsanwalt. Sie engagierte sich früh in der jüdischen Arbeiterbewegung (Poale-Zion), dann in kommunistischen Bewegungen und wurde aus diesem Grund zweimal inhaftiert (insgesamt war sie ein Jahr in Haft, zuletzt 1922/23).
1924 zog sie nach Wien um. Um als Rumänien die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten und ihren Aufenthalt in Wien zu legalisieren, arrangierte die Kommunistische Partei Österreichs 1933 eine Ehe mit Walther Friedjung (Sohn des renommierten Wiener Kinderarztes und Politikers), die nach anderthalb Jahren geschieden wurde. Den Namen Friedjung behielt sie jedoch bis zu ihrem Tod bei. 1934 emigrierte sie nach Moskau, wo sie 1936 den ungarischen Kommunisten Jenő Fried heiratete, mit dem sie bis zu dessen Tod 1943 zusammen war. In Moskau arbeitete sie als Sprachlehrerin und wurde nach Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges nach Tomsk evakuiert. 1947 zog sie wieder nach Wien, wo sie ab 1955 in der Verwaltung der österreichischen Mineralölverwaltung tätig war. Prive Friedjung besuchte 1992 im Alter von 90 Jahren bzw. nach mehr als fünfzig Jahren noch einmal ihren Heimatort Zhadowa (nun in der Ukraine gelegen). Sie starb im Alter von 103 Jahren am 15. Dezember 2005 in Wien.
Ihr 36-seitiges Manuskript „Einige Angaben und Erinnerungen (aus meinem Gedächtnis)“ wurde 1988 in die „Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen“ des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien aufgenommen. Zusammen mit einem weiteren Brieftext Friedjungs und Gesprächen, die sie zwischen 1987 und 1990 mit Albert Lichtblau führte, ist eine breit angelegte, 400-seitige Lebensgeschichte entstanden (Friedjung: „Wir wollten nur das Paradies auf Erden“).
Text: Markus Winkler
Quellen:
- Prive Friedjung: „Nach einiger Zeit hatte die Front auch unser Dorf erreicht“. In: Kindheit im Ersten Weltkrieg. Hg. v. Christa Hämmerle. Wien u.a. 1993, S. 150–163
- Prive Friedjung: Einige Angaben und Erinnerungen (aus meinem Gedächtnis). In: Als hätten wir dazugehört. Österreichisch-jüdische Lebensgeschichten aus der Habsburgermonarchie. Hg. v. Albert Lichtblau. Wien u.a. 1999, S. 255-260
- Prive Friedjung: „Wir wollten nur das Paradies auf Erden“. Die Erinnerungen einer jüdischen Kommunistin aus der Bukowina. Hg. und bearb. von Albert Lichtblau und Sabine Jahn. Wien u.a. 1995
- Ilse Korotin (Hg.): biografiA: Lexikon österreichischer Frauen. Wien 2016 S. 915
- Markus Winkler: Der Erste Weltkrieg: Wahrnehmung und Deutung aus der Perspektive deutschsprachiger Juden aus der Bukowina. In: Jüdische Publizistik und Literatur im Zeichen des Ersten Weltkriegs. Hg. v. Petra Ernst und Eleonore Lappin-Eppel. Innsbruck 2016, S. 51-73
- Nachruf der KPÖ: Prive Friedjung - Österreichs älteste Kommunistin ist gestorben (16.12.2005)