Selma Merbaum besuchte gemeinsam mit Margit Bartfeld-Feller das staatliche Hofmann-Lyzeum für Mädchen (ehemals jüdisches Mädchengymnasium) in Czernowitz, lernte Französisch, Latein und Rumänisch und übersetzte aus diesen Sprachen und aus dem Jiddischen ins Deutsche. Selmas Familie wurde am 11. Oktober 1941, zusammen mit zehntausenden Juden, in das Ghetto in Bahnhofsnähe umgesiedelt. Das Ghetto war auf Befehl des rumänischen Gouverneurs General Cornelius Calotescu errichtet worden. Selma und Familie wurden von den ersten Deportationswellen verschont, doch am 28. Juni 1942 wurden sie mit rund 1500 Menschen – darunter auch der Schriftsteller Alfred Kittner und die Familie des Celan-Freundes Immanuel Weißglas – in das Lager am Steinbruch „Carieră de piatră“ westlich des Bugs deportiert. Das war Transnistrien, eine Region, die die Deutschen unter rumänische Verwaltung gestellt hatten. Zwei Monate später, am 28. August 1942 wurde Selmas Familie mit 1500 Inhaftierten für die Todeslager östlich des Bugs ausgesondert und in das deutsche Zwangsarbeitslager Michailowka verbracht. Dort traf sie mit dem Maler Arnold Daghani zusammen. Einen geplanten Fluchtversuch mit einer ukrainischen Wache vereitelte der frühzeitige Wintereinbruch. Im Dezember erkrankte Selma an Flecktyphus und starb am 16. Dezember 1942 im Alter von 18 Jahren.

Dass heute ihre Gedichte bekannt sind, ist einem glücklichen wie auch tragischen Umstand zu verdanken. Sie schrieb ihre Gedichte in ein Album, das am Ende 58 Gedichte umfasst. Es war für ihren Freund Leiser Fichman bestimmt, dem sie das Album auf dem Weg in die Deportation über Umwege zukommen lassen konnte. Bis 1944 verwahrte er das Album seiner Freundin, von der ihn kein Lebenszeichen mehr erreichte. Nach der Auflösung der Arbeitslager 1944 wagte Fichman die Ausreise nach Palästina auf dem türkischen Motorsegler „Mefkure“. Selmas Album hatte er vorher der gemeinsamen Freundin Else Schächter übergeben. Am 4. August 1944 wurde das Flüchtlingsschiff von einem sowjetischen U-Boot unter Beschuss genommen und versenkt. Leiser ertrank mit hunderten von Flüchtlingen. Doch ihr Album wurde gerettet. Else Schächter tauschte es später mit Selmas bester Freundin Renée Abramovici gegen den Brief, den die im Lager Obodowka erhalten hatte. In Israel trafen sich Else (verh. Schächter-Keren) und Renée (verh. Abramovici-Michaeli) wieder. 1976 veröffentlichte Selmas ehemaliger Lehrer Hersch Segal in Israel die Gedichte unter dem Titel Blütenlese als Privatdruck auf eigene Kosten. 1978 erschien eine Ausgabe mit Übertragung der Gedichte ins Jiddische und 1979 gab Adolf Rauchwerger im Auftrag der Universität Tel Aviv die Gedichte heraus. Der Journalist und Autor Jürgen Serke wurde von der deutschen Lyrikerin Hilde Domin auf die Qualität der Gedichte aufmerksam gemacht: „Zum Weinen schön“. Er nahm Selma Merbaums Spur auf,  schrieb 1980 einen Artikel für das Wochenmagazin Stern und gab die Gedichte unter dem Titel Ich bin in Sehnsucht eingehüllt heraus. 2012 erschien die erste Übersetzung dieses Bandes ins Ukrainische von Peter Rychlo.

Text: Marion Tauschwitz und Ruslana Bovhyria

Materialien:

  • Marion Tauschwitz: Selma Merbaum - Ich habe keine Zeit gehabt zuende zu schreiben. Biographie und Gedichte. Mit einem Vorwort von Iris Berben. Springe 2014 (Rezension)


 

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    Orte

    Wohnhaus von Selma Merbaum

    Wohnhaus von Selma Merbaum
    wul. Tschernyschewskoho 38 (ehemalige Bilaer Gasse, Strada Bilei). Foto: Markus Winkler (2017)