Wischnitz war eine Handelsstadt – besonders Forstwirtschaft und Holzhandel wurden hier betrieben, aber auch Viehhandel. Vom ehemaligen relativen Wohlstand der oberen Schicht des Ortes zeugen heute noch einige der erhaltenen Villen. In der Zeit der Sowjetunion wurden diese Villen verstaatlicht und zu Schulen oder Herbergen umgewidmet.
1910 zählte die Stadt 5216 Einwohnerinnen und Einwohner, davon 4317 jüdischer (83% der Gesamtbevölkerung), 573 ruthenischer sowie 238 polnischer Herkunft. Die jüdische Bevölkerung prägte die Ortschaft, ihre Geschichte und das Ortsbild. Hier wurde auch der jiddische Autor Josef Burg geboren (1912-2009). Insgesamt 11 jüdische Synagogen und Gebetshäuser hat es hier einst gegeben. 1908 wurde das ukrainische Gymnasium in Wischnitz eröffnet, als Kompromiss aus dem Ringen zwischen ukrainischen und jüdischen Parteien mit jüdischen Klassen. Heute leben etwa 4000 Menschen in Wischnitz, davon eine Person jüdischer Herkunft (Stand: Mai 2017). Nicht nur die Villen wurden in der Sowjetzeit umfunktioniert, auch alle jüdischen Einrichtungen. Das heutige Kulturhaus der Stadt ist die frühere Hauptsynagoge der reformierten Juden, das heutige Kino war ein jüdisches Gebetshaus, ein weiteres Gebetshaus wurde als Milchverarbeitungsfabrik genutzt. Der große jüdische Friedhof wich in der Sowjetzeit einem Fußballfeld.
Zum Stadtbild: Ein Ringplatz mit Gebäuden und einer um den Platz führenden Straße prägen das Zentrum. Die meisten Häuser im zentralen Teil der Ortschaft sind aus der österreichischen sowie rumänischen Zeit. Auf dem zentralen Platz befinden sich verschiedene Denkmäler. Eines erinnert an den Volksaufstand im 19. Jahrhundert, das in der Sowjetzeit errichtet wurde und Lukjan Kobylyzja (1812-1851) darstellt. Er war Anführer von Bauernaufständen in der Bukowina in den 1840er-Jahren und 1848 Abgeordneter im österreichischen Parlament. Kobylzja hat immer wieder Volksaufstände mobilisiert und wurde mehrmals festgenommen. Besonders in der Westukraine wie hier in Wischnitz sind Denkmäler sowie nach ihm benannte Straßen zu finden. Das Denkmal steht vor einem in den ukrainischen Nationalfarben blau und gelb gestrichenen Gebäude. In der Mitte des Platzes ist ein riesiges Osterei als Statue aufgestellt – die bemalten Eier gehören zur traditionellen regionalen Handwerkskunst, wie sie auch in kleineren Ausgaben im Wischnitzer Museum huzulischer Kunstarbeiten zu finden sind. Das dritte Denkmal zeigt den ukrainischen Nationaldichter Taras Ševčenko, der für die Nationalbewegung sowie die Etablierung der ukrainischen Schriftsprache bedeutend ist. Gegenüber dem Ringplatz befindet sich die frühere Hauptsynagoge der reformierten jüdischen Gemeinde, hinter der einst der große jüdische Friedhof lag.
Text: Marit Haferkamp
Anmerkung: Die Informationen zu diesem Beitrag stammen aus Vorträgen und Gesprächen während der Tagesexkursion nach Wischnitz, Rostoky und Ispas am 12. Mai 2017 im Rahmen des Seminars und Projekts "Digitalen Topographie der multikulturellen Bukowina".